Als feministische Theologin, die sich seit den 1990er Jahren im interreligiösen Bereich engagiert hat,
begibt sich die Autorin auf Spurensuche nach Elementen feministischer Spiritualität im interreligiösen
Dialog. Obwohl sich dort allerorten die Rede von „Spiritualität“ findet und diese so etwas wie einen
gemeinsamen Nenner darstellt, wenn religiöse Erfahrungspraxis der verschiedenen Traditionen und
Kulturen thematisiert werden soll, und obwohl es auch einen starken Bezug interreligiöser
Organisationen zu politischen und religiösen Frauenorganisationen weltweit gibt, ist in diesem
Dialogkontext die Rede von feministischer Theologie und Spiritualität immer noch eher suspekt. Denn
gerade da, wo Abgrenzungen als notwendig erachtet und klare Identitäten (‚man’ ist katholisch oder
buddhistisch oder…) als Vorraussetzungen des Dialogs gefordert werden, stellt die konstruktive
Bejahung religiös-kultureller Vielfalt seitens feministischer Spiritualität eine Provokation dar. Die
Autorin findet nun Elemente feministischer Spiritualitäten (1) in den spirituellen Suchbewegungen
westlicher Frauen ‚zwischen den Religionen’, die bis dato als synkretistisch abgelehnt werden; (2) im
spirituellen Weg buddhistischer oder islamischer Feministinnen, die bis dato als Einzelgängerinnen
galten; und (3) in den rituellen Praktiken von marginalisierten Frauen Asiens u.a. Kontenente, die
von Seiten der offiziellen Weltreligionen als irrelevant betrachtet werden. Die Gemeinsamkeit in der
Verschiedenheit feministischer Spiritualitäten hat die Autorin dabei selbst im Traumbild des
Whirlpools und im mystischen Bild der Quelle von Teresas von Avila visioniert. Nicht zuletzt diese
Vision ermutigt sie dazu, in einem Klima, in dem Synkretismus ein stetes Verdachtsmoment darstellt,
zu behaupten, dass sich in Zukunft das feministisch-spirituelle Unterfangen Grenzen zu überwinden,
eine alternative Kultur im Grenzraum zu schaffen und Frauen am Rande zu bestätigen und zu
ermutigen nicht mehr bloß ein peripheres oder beliebiges Thema feministischer Theologie darstellt,
sondern zum zentralen Thema des interreligiösen Dialogs selbst werden wird.
Feministische Spiritualität im interreligiösen Dialog von Dr. Annette Esser