Nach ihrem Tod 1179 wurde Hildegard, obwohl das Heiligsprechungsverfahren wegen fehlender Unterlagen scheiterte, trotzdem als Heilige verehrt. Doch ihre Schriften wurden kaum noch gelesen, sodass es im 13. und 14. Jahrhundert auffällig ruhig um Hildegard wurde. Allerdings wurde sie als Autorität weiterhin gerne zitiert, aber kaum mit Rückbezug auf ihre Schriften. Vielmehr benutzte man lieber ein auf Auszügen reduziertes Werk, das als Kompilation 1220 von dem Zisterzienserprior Gebeno von Eberbach mit dem Titel Pentachronon verfasst wurde und das ausschließlich die apokalyptischen Texte der Visionsschriften Hildegards rezipierte (Embach, 405). Dieses Werk bot damit bereits die Grundlage dafür, dass Hildegards Schriften später der reformkirchlichen Bewegung zugeordnet wurden. Als es dann im 15. Jahrhundert zu einem neu erwachten Interesse an Hildegard kam, war es die im Pentachronon enthaltene „Papst- und Kirchenkritik“ Hildegards, die die lutherischen bzw. kirchenkritischen Autoren für ihre eigenen Belange verwendeten, sozusagen missbrauchten.